Rolf Wicker

 
1965 geb. in Ravensburg/ Württ.
Ausbildung und Tätigkeit als Steinmetz 
1990 Studium der Bildhauerei an der AdBK Nürnberg 
bei Prof Wilhelm Uhlig
1993 Wechsel an die Kunsthochschule Berlin
1996 Diplom bei Prof Berndt Wilde und Prof. James Reineking 
1997 Meisterschüler von Prof. Berndt Wilde
NaföG-Stipendium des Berliner Senats für Wissenschaft, Forschung und Kultur
1998 Arbeitsstipendium New York
1999 Stipendium Künstlerdorf Schöppingen
Förderpreis Bildende Kunst des Landes Brandenburg
Kunstpreis Oberschwaben 
2000 DAAD Jahresstipendium Rom
Will Grohmann-Preis der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg
2001 Lehrauftrag an der Kunsthochschule Berlin
"Artist in Residence", Künstlerhaus Torreão, Porto Alegre, Brasilien
2002 Aufnahme in den Deutschen Künstlerbund
lebt und arbeitet in Berlin und Wünsdorf/Brandenburg

Einzelausstellungen
1996 RAUM-SCHNITT-MUSTER. Galerie Artificium, Berlin
1997 AUFGRABUNGEN. Skulpturenprojekt im öffentlichen Raum, 
in Zusammenarbeit mit der Galerie Inga Kondeyne, Berlin 
1999 UNWETTERKAPELLE Galerie F6, Künstlerdorf Schöppingen
2000 CALCATA IV Förderverein Aktuelle Kunst, Münster
2001 ROOMS IN RESIDENCE Künstlerhaus Torreao, Porto Alegre, Brasilien
BANDELWERK Neues Schloss Kißlegg, Baden-Württemberg
2002 REALITÄTSVERLUST Galerie ars nova, Berlin
VESTIBÜL Galerie Inga Kondeyne, Berlin
INTERNATIONALES KÜCHENKOMBINAT DESSAU
Skulpturenprojekt im Park Schloss Georgium, Dessau
BURGBESICHTIGUNG Friedrichsbau, Bühl

Ausstellungbeteiligungen (Auswahl)
1995 1. PREIS Wettbewerb Sächsische Landesgartenschau Lichtenstein
GALERIE MITTE. Berlin
1996 JUNGE KUNST. SAAR-FERNGAS-FÖRDERUNG, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen/Rhein
AEG-KUNSTPREIS ÖKOLOGIE.Wanderausstellung, Köln u.a.O.
1997 WUNDMALE. Künstler der Gegenwart zum 27. Ev. Kirchentag, Leipzig
INTERSECÇOES. Künstlerwerkstatt Bhf. Westend, Berlin
1998 RÄUMEREIEN VOL. I + II. Berlin u. München 
ART OF THE EXILE. Gallery ABC NO RIO, New York
1. TRIENNALE ZEITGENÖSSISCHER KUNST OBERSCHWABEN. Kloster Weingarten
1999 FLUTEN 2 IN TÜBINGEN. Galerie peripherie im Sudhaus, Tübingen
AUSSTELLUNG Förderpreisträger ´99 und Stipendiaten ´98 des Landes Brandenburg
Brandenburgische Kunstsammlungen Cottbus
SCHICHTWECHSEL. Kunstmuseum Ahlen
2001 KORPUS. Städt. Galerie Wangen
2002 FREIPLASTIKEN. Darmstädter Sezession, Mathildenhöhe Darmstadt
CAPRICCI ZUM SCHLOSSPLATZ. Georg-Kolbe-Museum, Berlin
 

Wenn Rolf Wicker seine Arbeiten gerne im Kontext des skulpturalen Arbeitens sieht, so ist eine derartige Einordnung und Kategorisierung zwar möglich, aber gleichzeitig eine begriffliche Verhüllung, die die konzeptionelle Tiefe und Bedeutung des Sichtbaren verbirgt. In der Tat lassen sich die installativen Arrangements sowohl in Innen- als auch Außenräumen als großflächige und –räumige Skulpturen sehen, die deren wesentliche Momente, wie den dreidimensionalen Raumkörper, Formung und plastisches Gestalten aufgreifen. Auffällig ist jedoch der stark architektonische Zugriff der Arbeiten, mit dem nicht allein ein Körper in den Raum gesetzt wird, sondern der Raum selbst wiederum als Innen- und Leerraum thematisiert wird. In Differenz zum plastischen Gestalten als einem Verfahren der Montage, um einen Körper zu erzielen, fallen hier Momente des Bauens ins Gewicht. Von der Architektur selbst differenzieren sich die Arbeiten durch ihr auffälliges Größenverhältnis: zu klein für eine tatsächlich zu benutzende und zu belebende architektonische Hülle einerseits, zu groß für eine Vorformulierung eines als Bauwerk umzusetzenden Modells andererseits. Hinzu kommt, daß sich die meisten dieser installativen Arrangements auf bereits existierende Architektur zurückführen lassen, die aber ihren ursprünglichen Zusammenhängen entrückt, gar ent- und verfremdet werden, um zu einem ganz eigenständigen Komplex sich zu wandeln. Zu dieser entschiedenen Uneindeutigkeit der Zuordnung tritt nun die bewußte strategische Dialektik von Verwirrung und Entwirrung. Die Installationen lassen sich aus der Sicht des Betrachters als Erlebnisräume bezeichnen, die seine erhöhte Aufmerksamkeit und Anspannung einfordern, um einem labyrinthartigen Geheimnis auf die Spur zu kommen, daß in diesen Arbeiten enthalten ist. Zugespitzt ereignet sich hier eine theatralische Magie, die sich nicht nur in formaler Hinsicht, sondern auch in inhaltlicher Komplexität als ein Bastard theatralischen Bauens und der szenischen Kulisse bezeichnen lässt. Insofern betreibt Rolf Wicker einen raffinierten, teilweise ironischen, aber auch bedrohlich abgründigen Budenzauber, der die Bude insofern in den Mittelpunkt rückt, indem er das installative Zusammenspiel in die Bude des Ausstellungsraumes setzt und darin wiederum die Bude selbst ausspielt als gebaute Zusammenführung von Zimmern, Räumen, Gängen und Kavernen.

Die Installation „Burgbesichtigung“ aus dem Jahr 2002, für den Friedrichsbau in Bühl entstanden, greift die Grundstruktur einer mittelalterlichen Schlossanlage auf. Wie ein grandioses Bühnenszenario breitet sich die Anlage aus sprödem Gipskarton in der gesamten Mittelfläche des Ausstellungsraums aus. Der Einblick ist dabei nur von den umlaufenden Seitengängen möglich, die Betrachter werden buchstäblich in die Rolle eines Auditoriums gedrängt, das einer möglichen Aufführung von den Seitenrängen aus beiwohnen wird, die in diesem gleichsam konkreten wie anonymen Szenario stattfinden wird. Die „Burgbesichtigung“ verweist den Betrachter in den engen Rahmen einer streng strukturierten Führung, die nur von der Peripherie aus möglich ist, ohne ins Zentrum des gebauten skulpturalen und historischen Raumes vorzudringen, wie dies auch für eine wirkliche Burgführung gilt, die sich immer am Rande der einstigen Lebensbereiche bewegt ohne diese tatsächlich lebendig werden zu lassen. Mit dem Blick von der Höhe der Empore blicken wir in die aufgerissene Struktur der Burgfläche. Wie mit einem präzisen chirurgischen Schnitt erhalten wir Einblick in Kavernen, Unterstände, Kemenaten, Turmaufgänge, Wohn- und Lagerräume und winklige Treppenführungen, die zu Beobachtungsposten im Nirgendwo führen. Das historische Stück, das in diesem seltsamen Szenario aufgeführt werden könnte, bleibt uns ebenso verborgen, wie auch die reale historische Topografie der Struktur sich verschließt. Daß es sich hierbei um eine Schlossanlage handeln könnte, obliegt dem Eindruck des historischen Gedächtnisses des Betrachters, der auf seine Kenntnisse von besichtigten Burganlagen zurückgreifen kann, um das Gemeinte nachzuvollziehen.

Was vom feudalen Traum aus Stein und Glas übrig bleibt ist eine dreidimensionale Skizze hauchdünner Wände, eine Zeichnung im Raum, plastische Umsetzung der zugrundeliegenden Grundrißzeichnung, die dem Erstaunlichen einer historischen Architektur Rechnung trägt, diese aber in ein Modell eines nüchtern kalkulierten Bauens mit industriellen Fertigwänden umformuliert. Wie auf der Bühne wird hier nicht gebaut, sondern geklebt. Das Geklebte und Montierte, der Budenzauber bewirkt wie auf dem Theater jene Magie der Illusion, die uns Einblick in eine Welt gestattet, die nicht die wirkliche ist und dennoch als eine Form der Wirklichkeit funktioniert. Die Welt der Installation, die in vielem der Welt des Theaters gleicht, verleibt sich den Betrachter buchstäblich ein, wenngleich er nicht Teil dieser künstlichen Welt sein kann. Insofern bleibt der Betrachter auch aus der Installation Rolf Wickers ausgesperrt, ist gezwungen an der Peripherie zu verharren und begegnet dem künstlichen Szenario mit der unerfüllten Lust, den verbotenen Raum des Historischen zu betreten. Wenngleich das Zentrum nicht betreten werden kann, wird der Blick von der Peripherie doch von diesem beherrscht und der Raum neu definiert. Obwohl der Grundriss, der dieser Installation zugrundeliegt, Zeichnung und damit Bild ist, bedarf es der dreidimensionalen Umsetzung, damit der Budenzauber als Raumbeherrschung und Einverleibung des Betrachters funktioniert. Über die Strategie der Dreidimensionalität schreibt der russische Installationskünstler Ilya Kabakov in seiner Vorlesungsreihe „Über die totale Installation“: „Dreidimensionalität bedeutet die prinzipielle ‚Geschlossenheit‘ der Installation im Gegensatz zur ‚Offenheit‘ der älteren Genres. In der Tat hatte der Betrachter des Freskos, der Ikone und des Bildes, wenn er davor stand, seitlich und hinter sich freien Raum, die Installation dagegen, verwandelt die gesamte Umgebung des Menschen so, daß sie sich seiner bemächtigt, ihn sich einverleibt.“ Im Sinne des Theaters spricht auch Kabakov beim Betreten der Installation immer wieder von der Metapher des sich öffnenden Vorhangs, der den Blick auf einen künstlichen Raum freigibt, der Welt ist, wenngleich nicht die wirkliche, zu der der installative Raum lediglich ein Verhältnis der Übertragung aufrechterhält, wie es sich auch in der Installation Rolf Wickers erweist, die die historische Architektur als Budenzauber in einen Kunstraum übersetzt, der schließlich des Betrachters als eines Akteurs bedarf. Und im Sinne Kabakovs und seiner Vision von der „totalen Installation“ errichtet Rolf Wicker eine „psychologische Topologie“. „Die Ausrichtung einer ‚psychologischen Topologie‘“, schreibt Kabakov, „soll die Reaktion ‚Mir ist hier schon alles klar‘ vermeiden und den Betrachter in Richtung ‚Hier ist mir noch nicht alles klar‘ beeinflussen. Eben dieses ‚noch nicht alles klar‘ muß man hüten wie einen kostbaren Schatz, man muß es, wie ein Schüsselchen Wasser, in der Hand halten und, ohne etwas zu verschütten, vorsichtig in die Installation tragen.“ Wie beim Budenzauber, der zwischen magischer Überwältigung und technischem Kalkül des Tricks hin und her pendelt, bleibt das Prinzip des Offenen, jenes „Hier ist mir noch nicht alles klar“ in Rolf Wickers Burganlage erhalten, in dem Architektur, Historie, Gedächtnis, künstlerische Fiktion und räumliches Einfühlungsvermögen eine nicht ganz geheure Verbindung eingehen, die nicht zuletzt den Betrachter als Mitspieler einzubeziehen versteht.


"Burgbesichtigung", Friedrichsbau Bühl 2002